Das exekutive System
Wenn wir Entscheidungen treffen, uns Ziele setzen und sie überlegt, konsequent, aber mit der gebotenen Flexibilität verfolgen, wenn wir in unserem Verhalten soziale und Umweltbedingungen berücksichtigen, dann ist das exekutive System in Aktion. Es bildet die Basis für die Selbstregulation, eine wichtige Voraussetzung für eigenverantwortliches, selbstgesteuertes Lernen und für die Entwicklung sozial-emotionaler Kompetenzen – und damit für ein friedliches Zusammenleben in Gemeinschaften.
Bis das exekutive System, das seinen Sitz im Stirnhirn hat, voll entwickelt ist, dauert es mehr als zwei Jahrzehnte. Erstens muss die Entwicklung des präfrontalen Kortex ganz abgeschlossen sein.
Zweitens müssen Regeln gelernt und geübt werden, denn der präfrontale Kortex speichert nicht einzelne Informationen, sondern Muster und Gesetzmäßigkeiten, die dann auch auf andere Bereiche übertragen werden können. Das erfordert eine Menge Geduld, Konsequenz und Engagement. Bei jedem Kind verläuft die Entwicklung individuell unterschiedlich. Es gibt Phasen der Stagnation und Entwicklungsschübe. Um alle Kinder zu unterstützen, ist Kontinuität gefragt.
Zu den exekutiven Funktionen, die im Zusammenspiel selbstreguliertes Verhalten steuern, zählen das Arbeitsgedächtnis, die Inhibition oder Impulskontrolle und die kognitive Flexibilität.
Das Arbeitsgedächtnis
Im Arbeitsgedächtnis speichern wir Informationen kurzfristig, um sie für weitere Aufgaben zu nutzen.
Trotz seiner begrenzten Speicherkapazität von fünf bis sieben Elementen (Zahlen, Wörter, Objekte etc.) über einen Zeitraum von nur wenigen Sekunden ist das Arbeitsgedächtnis notwendig für kompliziertere Anforderungen. Ob Kettenaufgabe beim Kopfrechnen, längere, gar verschachtelte Sätze oder mehrgliedrige Handlungsanweisungen – das Arbeitsgedächtnis bewahrt bewusst die Informationen, die für weitere Operationen gebraucht werden. So können komplexe kognitive Funktionen wie Sprache und mathematische Leistungen entstehen.
Ein gut funktionierendes Arbeitsgedächntis sorgt dafür, dass wir uns an eigene Handlungspläne und an Instruktionen anderer besser erinnern. Das schafft die Möglichkeit, auch Handlungsalternativen einzuplanen.
Die Inhibition
Inhibition ist die Fähigkeit, spontane Impulse zu unterdrücken, Aufmerksamkeit willentlich zu lenken und Störreize auszublenden.
Nicht ständig von äußeren Bedingungen, eigenen Emotionen und Bedürfnissen oder festen Verhaltensmustern abgelenkt zu werden, sondern zielgerichtet und gleichzeitig flexibel zu handeln, kurz: situationsangemessenes Verhalten zu zeigen – dazu brauchen wir die Inhibition. Beim Zurückstellen eigener Bedürfnisse spricht man vom Belohnungsaufschub. Wer seine Inhibition trainiert, dem fällt es leichter, den Computer nicht einzuschalten, sondern mit den Hausaufgaben zu beginnen oder einen Konflikt nicht mit Fäusten, sondern mit Worten auszutragen. Indem wir auf der einen Seite Impulse hemmen, gelingt es uns auf der anderen Seite, uns mit Ausdauer auf die Aktivitäten zu konzentrieren, die uns zu einem angestrebten Ziel führen.
Die kognitive Flexibilität
Den Fokus der Aufmerksamkeit zu wechseln, sich schnell auf neue Situationen einzustellen und verschiedene Perspektiven einnehmen zu können – das bezeichnet man als kognitive Flexibilität. Kinder, die sich jetzt auf den Matheunterricht konzentrieren und nicht gedanklich noch in der vorherigen Biostunde festhängen oder den Fußball in die Ecke legen und sich zum Essen an den Tisch setzen, sind kognitiv flexibel.
Sie haben die Fähigkeit, Personen und Situationen aus neuen, möglichst unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und zwischen ihnen zu wechseln. So schaffen sie später einen Wissenstransfer auch in ungewohnten Situationen. Ist die kognitive Flexibilität gut entwickelt, sind wir offen für die Argumente anderer, können aus Fehlern lernen, uns neuen Lebenssituationen anpassen und auf Arbeitsanforderungen schneller und besser eingehen.
Entwicklung exekutiver Funktionen
Dass die exekutiven Funktionen bei Kindern noch nicht vollständig entwickelt sind, gilt als Hauptunterschied im Verhalten zwischen Kindern und Erwachsenen. Der Entwicklungsprozess dauert etwa bis zum 25. Lebensjahr, wobei es große individuelle Unterschiede gibt. Das exekutive System beginnt sich ab dem Alter von zweieinhalb bis drei Jahren sehr schnell zu entwickeln. Zwischen dem dritten und fünften bzw. siebten Lebensjahr findet ein weiterer deutlicher Fortschritt in der Inhibition und der kognitiven Flexibilität statt. Kinder sind in dieser Altersphase besser in der Lage, Situationen und Personen aus unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen und zu beurteilen.