Exekutive Funktionen in Sport und Spiel
In Mannschafts- und Individualsportarten müssen Athleten oft in Bruchteilen von Sekunden und unter großem Druck die richtigen Entscheidungen treffen, flexibel denken und handeln, Impulse kontrollieren, die Aufmerksamkeit voll auf die motorische Aufgabe richten, ohne sich ablenken zu lassen. Gefühle müssen gesteuert und negative Emotionen und Gedanken ausgeblendet werden.
Die Spieler müssen sich Spielabläufe und Spielverhalten des Gegners einprägen und in der Spielsituation im Arbeitsgedächtnis aufrechterhalten, um die richtige Aktion schnellstmöglich einleiten zu können. Das alles sind wichtige Voraussetzungen für Erfolge im Mannschaftssport, die auch im Vereins- und Schulsport geschult und für die allgemeine Förderung kognitiver und sozial-emotionaler Entwicklungsprozesse genutzt werden können.
Wie sollte das Sportangebot aussehen?
Mannschaftssportarten, ob Fuß-, Hand-, Volley- oder Basketball, Baseball, Hockey oder Indiaca, aber auch Tennis, Squash, Badminton können das exekutive System trainieren, ebenso Kampfsportarten wie Boxen, Ringen, Karate und Judo oder Kampfkunst wie Taekwondo und Tai Chi, außerdem Yoga und Tanz.
Die meisten Sportarten und Bewegungsspiele trainieren nicht explizit eine exekutive Funktion, sondern implizit das gesamte exekutive System. vgl. 16
So trainieren Schüler beim Sport ihr exekutives System
Kleine Mannschaftsspiele
Alle exekutiven Funktionen werden implizit in kleinen Mannschaftsspielen trainiert. Sie liefern besonders viele Situationen, in denen selbstreguliertes Verhalten immer wieder geübt werden kann.
Das Arbeitsgedächtnis
Ständig stehen die Spieler vor der Aufgabe, mit einem kurzen Blick das Spielgeschehen erfassen zu müssen: die Positionen der Mit- und Gegenspieler, deren Laufrichtungen und -geschwindigkeiten. All das muss außerdem im Arbeitsgedächtnis behalten werden. Diese Fähigkeit ist beispielsweise bei der Vororientierung, der Situation bevor ich den Ball erhalte, entscheidend. Die Vororientierung wiederum schafft die Grundlage für schnelle, überraschende und erfolgreiche Aktionen.
Die Inhibition
Ballverlust und Balleroberung sind elementare Komponenten jedes Mannschaftsspiels. Der Ärger über den Ballverlust und die Freude über den Ballgewinn müssen ständig inhibiert werden. Das Erreichen des Spielziels fordert von den Spielern die volle Aufmerksamkeit, wobei emotionale Kontrolle maßgeblich ist.
Die kognitive Flexibilität
Der häufige, oft unvorhersehbare Wechsel des Ballbesitzes, dauernde Zieländerungen von „Erzielen eines Punktes“ auf „Vermeidung eines gegnerischen Punktes“, das möglichst blitzschnelle Umschalten von Angriff auf Verteidigung oder umgekehrt – all diese Aktionen stellen höchste Anforderungen an die kognitive Flexibilität. Innerhalb kürzester Zeit müssen verschiedene, komplett neue Handlungsmöglichkeiten in Erwägung gezogen, Lösungsideen entwickelt und Entscheidungen getroffen werden. Erfolg oder Nicht-Erfolg der Aktion geben direkte Rückmeldung über die getroffene Entscheidung. Die Spieler lernen, diese Rückmeldung bei zukünftigen ähnlichen Aktionen zu berücksichtigen. Das erfolgreiche mannschaftliche Zusammenspiel erfordert eine gehörige Portion an Inhibitionsfähigkeit. Jeder einzelne Spieler muss sich selbst und seinen persönlichen Erfolg hintanstellen, um zum Beispiel einen besser postierten Mitspieler anzuspielen, damit die Mannschaft erfolgreich ist.
Spezielle Übungen zum expliziten Training der exekutiven Funktionen
Für das explizite Training des Arbeitsgedächtnisses eignen sich vor allem Übungen und Spiele, bei denen sich die Schüler Signale merken und entsprechend reagieren sollen. Wichtig ist die altersgerechte Gestaltung der die Anforderungen. Bei jüngeren Schülern fängt man am besten mit wenigen Signalen an, um dann die Anzahl langsam auf bis zu sieben zu steigern – mehr fasst das Arbeitsgedächtnis nicht.
Inhibition und kognitive Flexibilität werden geübt, wenn zuvor gelernte Regeln geändert werden. Die Ausführung einer bereits gelernten Regel muss zurückgehalten und gleichzeitig die neue Regel beachtet und eingehalten werden. Durch zusätzliche Kombinationen von Regeln lassen sich Komplexität und Schwierigkeitsstufen einer Übung fast unendlich erhöhen. Als besonders relevant erweist sich das für die Motivation. Denn, wie zuvor gezeigt, unser Belohnungssystem reagiert besonders stark auf neue Herausforderungen.
Wenn Rhythmus und Bewegung ins Spiel kommen
Eine ganz direkte Verbindung von körperlicher Aktivität und kognitiver Reaktion findet beim Tanz statt. Übungen zu Rhythmus und Bewegung lassen sich sehr gut mit den speziellen Übungen zum Training der exekutiven Funktionen kombinieren.
Gezieltes Training der Aufmerksamkeit
Um gezielt die Aufmerksamkeit zu trainieren, eignen sich besonders kleine Reaktionswettkämpfe und Yoga- oder Kampfkunstübungen. Aber auch Spiele, die die Wahrnehmung einzelner Sinne schulen, führen zu erhöhter Aufmerksamkeit.
Spaß und Motivation
Partizipation
Beim Thema Motivation ist Partizipation ein entscheidendes Stichwort. Wer mitentscheiden und -gestalten darf und nicht nur ausführen muss, ist einfach motivierter. Eine Beteiligung der Kinder bietet sich in vieler Hinsicht an. Hier finden Sie eine Liste an Möglichkeiten:
Allgemein:
- Die Kinder dürfen Übungen oder Sportarten auch selbst auswählen oder vorschlagen.
Kleine Mannschaftsspiele:
- Auf große Ziele spielen, so dass Teilerfolge auch von weniger geübten oder talentierten erzielt werden können. Auch wenn das Spiel letztendlich verloren wird – ein Ergebnis 10 zu 8 ist motivierender für alle Beteiligten, als ein 1 zu 0.
- Wie lernt man, ausgewogene Mannschaften zu bilden, damit ein Spiel zustande kommt, das Spaß macht?
- Kleine Mannschaften spielen auf mehreren kleinen Feldern gleichzeitig – so ist jeder einzelne Spieler wichtig und alle kommen zum Spielen.
Spezielle Übungen zum Training der exekutiven Funktionen:
- Auf eine altersgerechte Anzahl der zu merkenden Items achten und maximal auf sieben steigern. Regeländerungen sollten erst eingeführt werden, wenn die Grundübung von allen beherrscht wird. Gleiches gilt für die Erhöhung der Komplexität durch Kombination von Regeln.
Die Balance halten
Um keine Langeweile aufkommen zu lassen, sollte man die Komplexität maßvoll erhöhen. Wenn kleine Steigerungen von den Schülern gemeistert werden, stellen sich motivierende Erfolgserlebnisse ein. Wird dagegen zu schnell gesteigert, bevor das Geübte richtig sitzt, überfordern wir die Kinder und Jugendlichen. Und Überforderung verursacht Frust und Stress – was mehr schadet als nützt.
Die Rolle des Pädagogen
Nicht zu unterschätzen ist die Rolle, die Pädagogen in puncto Motivation einnehmen. Nichts motiviert Kinder mehr als Aufmunterung, Ansporn und Lob zur rechten Zeit. Werden immer nur die Besten gelobt, wirkt sich das demotivierend auf alle anderen aus.
Spüren die Schüler, dass wir als Pädagogen selbst von unserem Bewegungsangebot überzeugt und begeistert sind, wirkt sich das auf ihre Motivation und damit auf den Lernerfolg aus. Das können wir am besten vermitteln, wenn wir als Erwachsene uns auch mal aktiv am Spiel beteiligen – ob als Schiedsrichter, Teil der Mannschaft, Fänger oder Gejagter.
Bewegung ist immer gut
Sportunterricht und außerunterrichtlicher Sport findet am besten nicht in den Randstunden statt, sondern möglichst täglich vor anderen wichtigen Fächern, außerdem vor Hausaufgaben und weiteren Lerninhalten. Denn im Anschluss an eine körperliche Belastung steigt die Aufmerksamkeit der Schüler merklich an.
Nach einem 30-minütigen schwerpunktmäßig koordinations- und ausdauerorientierten Sportunterricht können Schüler – im Vergleich zu einer Ruhebedingung – Störreize eher ausblenden und schneiden in Lernleistungstests besser ab. 17
Auch in anderen Fächern können im Unterricht Übungen und kleine Spiele eingebaut werden, die Lerninhalte und Bewegung miteinander verknüpfen, damit eine direkte kognitive Reaktion auslösen und zugleich die exekutiven Funktionen fördern. Sie wirken sich positiv auf das Lernklima, den Lernprozess und das Speichern der Lerninhalte aus.
Wie sich Sport auf die Selbstregulation auswirkt
Rituale und die konsequente Einhatung von gemeinsam vereinbarten Regeln unterstützt die Kinder und Jugendlichen bei der Entwicklung ihrer Selbstregulationsfähigkeit. Sport lebt von Regeln und Ritualen und bietet schon deshalb die besten Voraussetzungen.
Was die Schüler im Sport lernen, können sie auf andere Bereiche und Lernsituationen übertragen.
Die unterschiedlichen Arten von Spiel, Sport und Bewegung können sich vielseitig positiv auf die exekutiven Funktionen auswirken. So reichen die kognitiven Kontrollstrategien von Kindern, die täglich Sport treiben, fast an die von jungen Erwachsenen heran – nicht schnell und reaktiv wie die von Altersgenossen, sondern flexibler und anhaltend zielorientiert.
Ist das Sportangebot in Kindergärten, Schulen und Vereinen auf das Training der exekutiven Funktionen ausgerichtet, wird damit gleichzeitig die Fähigkeit zur Selbstregulation allgemein trainiert. Das geht allerdings nicht von heute auf morgen und nicht allein durch Einsicht.
Es bedarf vieler Situationen im Lauf der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, um selbstreguliertes Verhalten üben und auf diese Weise lernen zu können, denn der präfrontale Kortex braucht lang für seine Entwicklung und lernt vergleichsweise langsam.